AktuellesExponat des Monats

Juli 2017

Perlon – wenn man immer diesen Namen hört oder liest, denkt man unwillkürlich an die wunderbaren elastischen, durchsichtigen und trotzdem wärmenden Damenstrümpfe. Heute wird dieses Produkt aber kaum noch für die Herstellung von Strümpfen verwendet, sondern es findet aufgrund seiner hohen Reiß-, Knickbruch- und Scheuerfestigkeit, seiner Elastizität und Strapazierfähigkeit in vielen anderen Industriezweigen Anwendung. Ein Schaukasten über den Werdegang des Perlons stellt das Museum der Stadt Lennestadt als „Exponat des Monats Juli“ vor.

Bei diesem Schaukasten handelt es sich um ein Unterrichtsmittel für Schulen, der um 1950 in einer Schule aus dem Bereich der heutigen Stadt Lennestadt eingesetzt wurde. Hersteller dieses Unterrichtsmittels war die Firma „HAPI“ Hans Pickhardt, Werkstätten für plastische Lehrmittel, Wuppertal-Elberfeld. Nachdem schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fortschrittliche Pädagogen für den Unterricht Herbarien und Mineralsammlungen anlegten, griff einige Jahrzehnte später die aufkommende Lehrmittelindustrie diese Ideen auf. In flachen Kästen mit Glasabdeckungen konnten nun die Zusammenhänge oder Prozessstadien, die bisher nur im Bild möglich waren, im Schaukasten mit dreidimensionalen Objekten erfolgen und eine authentischere Anschauung bieten. Der vorgestellte Schaukasten hat die Maße 490 x 560 x 55 (B.H.T).

 

Grund der Herstellung dieses Schaukastens für den Unterricht um 1950 war sicherlich das seinerzeit ganz neue Produkt „Perlon“. Perlon ist das Warenzeichen einer 1938 von Dr. P. Schlack für die I. G.-Farbenindustrie AG in Berlin, Deutschland, entwickelten Kunststofffaser. Sie bestand aus Polyamid 6 und wurde als deutsche Alternative zu Nylon (Polyamid 6.6) schnell zum „kriegswichtigen Stoff“ erklärt. Während des Zweiten Weltkrieges fand Perlon zur Herstellung von Fallschirmen, Borsten zur Reinigung von Waffen und in Flugzeugreifen Verwendung. Es wurde ab 1939 unter der Bezeichnung „Perlon L“ vermarktet. Erst nach 1945 begann in Deutschland die zivile Nutzung für Damenstrümpfe.

Aber Nylon war zuerst da! Es gab also eine Vorgeschichte jenseits des großen Teiches. Dort hatte Wallace Hume Carothers (1896-1937), seit 1928 Forschungsleiter bei Du Pont, 1934 das Polyamid „Nylon“ erfunden und patentieren lassen. Die Entwicklung wurde in den USA angekündigt, dass die neue Kunstfaser „stark wie Stahl, fein wie ein Spinnennetz, aber geschmeidiger als jede gebräuchliche Naturfaser, mit einem wunderbaren Glanz“ sei.

Zeitgleich und völlig unabhängig von der Arbeit des Wallace Carothers machte der deutsche Wissenschaftler Professor Dr. Paul Schlack (1897-1961) am 29. Januar 1938 die gleiche Entdeckung. Schlacks Entdeckung basierte allerdings auf Caprolactam, einem Bestandteil des Steinkohleteers, das der Amerikaner Carothers aber verworfen hatte. Deutschland hatte nun sein Polyamid, das den Namen „Perlon“ erhielt, ohne das amerikanische Patent verletzt zu haben. Die ganze Aktion dieser zukunftsträchtigen Entwicklung lief unter der Bezeichnung „Streng geheim“, da die Lage in Europa schon stark nach Krieg roch.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde Perlon – das „Nazi-Nylon“ – nur für kriegswichtige Produkte eingesetzt. Nach der deutschen Kapitulation erfolgte die Zerschlagung des IG-Farbenkonzerns durch die Siegermächte. Das Werk Bobingen, in dem Paul Schlack tätig war, kam unter das Firmendach der Frankfurter Hoechst AG. Schon nach wenigen Wochen konnte hier eine kleine Produktion anlaufen, zunächst waren es hauptsächlich Besen und Bürsten für das große Aufräumen in Deutschland. Im Jahr 1950 wurden dann in der Bundesrepublik die ersten Perlonstrümpfe produziert. Der Stoff wird zum Symbol des Wirtschaftswunders: Dreißig Millionen Strümpfe werden 1951 in Westdeutschland verkauft, das Paar für zehn D-Mark. 1955 sind es 100 Millionen zum Preis von nur noch drei D-Mark.

Der größte Teil der Polyamidproduktion (Nylon und Perlon) wird heute als Synthesefaser für Textilien verwendet. Außerdem findet die Kunststofffaser Verwendung zur Herstellung von unzerbrechlichen Haushaltsgegenständen und technischen Teilen, die sehr abriebfest sein müssen. Aufgrund seiner Beständigkeit gegen Schmier- und Kraftstoffe bei Temperaturen bis über 150 °C wird es auch im Fahrzeugbau für Motoranbauteile wie Ansaugsysteme, Kraftstoffleitungen, Motorabdeckungen usw. eingesetzt. Mehr als die Hälfte der gesamten Polyamidproduktion besteht aus Perlon.

Zu sehen ist der Schaukasten, der den Werdegang der Perlonproduktion hervorragend zeigt, im Museum der Stadt Lennestadt am Sonntag, den 02. Juli 2017, von 14 – 17 Uhr. An Werktagen ist das Museum dienstags von 9 -12 und 14 -16 Uhr sowie donnerstags von 9 -12 und 14 -17.30 Uhr geöffnet. Der Eintritt in das Museum ist frei.

Text: Walter Stupperich

Foto:  © Museum der Stadt Lennestadt