November 2017
Ein „Handhebelfahrzeug“, etwa 70 Jahre alt
Der Monat November wird seit Jahrhunderten von den Themen „Tod, Zeit und Ewigkeit“ dominiert. Die katholische Kirche gedenkt auf Allerseelen, dem 2. November jeden Jahres, ihrer Verstorbenen; in der evangelischen Kirche wird dieser Gedenktag am Totensonntag, dem letzten Sonntag vor dem 1. Advent, begangen. Eine Woche vor Totensonntag gedenkt die Bundesrepublik Deutschland am Volkstrauertag der zahlreichen Kriegstoten und Opfern der Gewaltherrschaft. Zu diesen Opfern der Gewaltherrschaft zählen auch die halbe Million Kriegsversehrten des Ersten Weltkrieges und die eineinhalb Million aus dem Zweiten Weltkrieg. Diesen unzähligen Kriegsversehrten, deren Verwundungen anhaltende körperliche oder seelische Schädigungen hinterließ, gedenkt das Museum der Stadt Lennestadt mit seinem „Exponat des Monats November“.
Bei dem präsentierten Exponat handelt es sich um einen Krankenfahrstuhl auf drei Rädern, ein sogenanntes „Handhebelfahrzeug“, das vom Grafen von Spee zu Ahausen dem Museum als Leihgabe zur Verfügung gestellt wurde.
Es gab schon früh Transportgeräte für behinderte Menschen. Die einfachste Möglichkeit neben Tragen und Sänften waren damals primitive Rollbretter und später auch Sack- und Schubkarren. Uralte Zeichnungen, Schriftstücke sowie prähistorische Funde beweisen dies. Dem menschlichen Erfindungsgeist waren aber auch auf diesem Gebiet keine Grenzen gesetzt. Bis zur Erfindung von Elektro- bzw. Verbrennungsmotoren handelte es sich dann um Schiebestühle oder Selbstfahrer, also muskelbetriebene Fahrzeuge. Im Jahr 1871 eröffnete H.W. Voltmann im Staatsbad Oeynhausen eine Schlosserei, die sich bereits zu Beginn auf die zahlreichen Bedürfnisse gehbehinderter Menschen einstellte. Die bis Ende der 1970er Jahre existente Firma kann als erste deutsche Rollstuhlfabrik gelten.
Die Versorgung mit Prothesen war sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst völlig unzureichend. Fehlende Materialien und eine mangelhafte Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Industrie sind hierfür als Gründe zu nennen. Auch sogenannte Selbstfahrer, dreirädrige Fahrzeuge für Beinamputierte, standen nur in sehr begrenzter Anzahl zur Verfügung.
Das präsentierte dreirädrige Handhebelfahrzeug wurde gegen Ende der 1940er Jahre von Dr. Ferdinand Graf von Spee zu Ahausen für die gehbehinderte Schwester seiner Ehefrau in dem „Medizinischen Warenhaus Adolf Sumser“ in Münster gekauft. Dieses 1901 von Adolf Sumser gegründete Unternehmen ist heute noch ein Prothesenhersteller auf hohem Niveau. Stephan Graf von Spee, Sohn des Dr. Ferdinand Graf von Spee und Leihgeber dieses historischen Fahrzeuges, kann sich noch erinnern, dass in den 1950er Jahren, seiner Kinderzeit, seine Tante mit diesem Fahrzeug sehr mobil wurde. Erstmals konnte sie nun ohne Gehstützen nicht nur das Gelände, sondern auch die Umgebung erkunden. „Nach dem Tod der Tante im Jahr 1956“, sagt Graf Stephan von Spee, „haben wir Kinder mit diesem Fahrzeug ein tolles Spielgerät besessen. Wir fuhren auf dem ganzen Hofgelände herum, machten Wett- und Zielfahrten.“ Als das Interesse der Kinder später erlosch, landete das Gerät auf dem Dachspeicher.
Das vor allem von Kriegsinvaliden benutzte Dreirad wird mittels der beidseitigen Handhebel durch wechselseitiges Hin- und Herziehen durch eine auf die beiden Hinterräder wirkende Kardanwelle vorwärts bewegt. Mit entsprechendem Drehen des rechten Handhebelgriffes, das auf das Vorderrad wirkt, ist das Fahrzeug lenkbar. Auf der linken Seite des Gefährtes ist eine Feststellbremse angebracht. Die Füße ruhen in einer höhenverstellbaren Holzschale. Der Ledersitz ist gefedert und die Speichenräder besitzen Luftreifen. Auf der Rückseite des Rollstuhls sind eine Schiebestange und ein Rückstrahler montiert. Sicher haben diese und ähnliche Selbstfahrer-Rollstühle manchem Kriegsversehrten wieder Lebensmut und Selbstständigkeit zurückgegeben.
Zu sehen ist dieser historische Rollstuhl im Museum der Stadt Lennestadt am Sonntag, den 05. November 2017, von 14 -17 Uhr. An Werktagen ist das Museum dienstags von 9 -12 und 14 -16 Uhr sowie donnerstags von 9 -12 und 14 -17.30 Uhr geöffnet.
Der Eintritt in das Museum ist frei.
Text: Walter Stupperich
Foto: © Museum der Stadt Lennestadt
Hinweis:
Foto und Text dieses Exponates sowie alle früher vorgestellten „Exponate des Monats“ kann man auch sehen und lesen auf den Internetseiten der Stadt Lennestadt unter: http://www.lennestadt.de/Leben-Wohnen/Kultur/Museum-der-Stadt-Lennestadt/Exponat-des-Monats/Aktuelles-Exponat-des-Monats